Mein erster Marathon
“Guten Morgen Marathon-Finisherin”
So wurde ich morgens mit Blumen und dicken Umarmungen nach dem Tag begrüßt, den ich wohl nie vergessen werde. "Marathon-Läuferin” - das erscheint mir unwirklich…ist das echt passiert? Hab ICH das geschafft? Ich, die noch bis vor kurzem ziemlich krank war? Ich, nun als Schirmherrin einer Stiftung, die sich für chronisch kranke Kinder einsetzt?
Unfassbar!! So langsam sickert das, was mein Körper sofort sehr intensiv gespürt hat, auch zu meinem Kopf durch. Hier nun der Versuch mein großes Erlebnis in Worte zu fassen, wobei die Erinnerung an Details etwas verschwommen ist (Euphorie oder Erschöpfung? - Ich denke die Mischung macht’s)
Warum Marathon?
Wann genau ich mir dieses Ziel in den Kopf gesetzt habe, 42,195 km am Stück zu laufen, weiß ich nicht mehr. Den Halbmarathon habe ich schon mal geschafft - was ist noch möglich? Habe ich die volle physische und psychische Freiheit oder gibt es eine Grenze? Wo verschmelzen Körper und Geist?
Ich bin schon immer von der Freiheit, die ich durch das Laufen bekomme, fasziniert gewesen.
Morgens aufstehen und egal bei welcher Jahreszeit mit der Natur lebendig sein, den eigenen Atem und Herzschlag hören, den ganzen Körper pulsieren spüren und zu wissen, dass jeder Schritt mich weiter bringt. Laufen geht immer. Egal wann, wo und wie. Für mich ist es mehr als nur Bewegung, eher eine tiefe Meditation. Der Kopf danach einfach frei. Von Ängsten, Sorgen und Zweifeln des Alltags - auch frei von den Gedanken, dass wir Menschen ein Limit haben. Denn meistens entstehen diese Limits nur im Kopf. Und von solchen lasse ich mich nicht gerne blockieren.
Wer mich kennt weiß, ich bin ziemlich zäh. (Manche mögen diese Fähigkeit auch als unfassbar sture Dickköpfigkeit bezeichnen, Mutti nennt es den Marinkovic’schen Gendefekt …oh well)
Jedenfalls hält mich auch meine körperliche Grenze nicht so schnell von meinen Zielen ab. Und da kam ich auf den Gedanken genau die Menschen mit meinem Lauf zu unterstützen, die das Gefühl von körperlichen Grenzen nur all zu gut kennen. Ich wandte mich an “kidsTUMove”, eine Organisation der TU München, welche Sportprojekte für chronisch kranke Kinder organisiert, und wurde kurzerhand zur Schirmherrin von ‘kidsTUMove’ ernannt. Eine große Ehre für mich.
Race Day
Ein Zurück gab es nicht mehr. So unendlich viele Menschen, die mich unterstützen, an mich glauben und die ich nicht enttäuschen möchte. Am allerwenigsten mich selbst nach den sehr intensiven letzten Monaten. Also habe ich mir gesagt “Anja, reiß dich zusammen. Da draußen gibt es Kids, die nicht laufen können oder tagtäglich unter Schmerzen leiden, da kriegst du es jetzt wohl auch auf die Kette mal kurz die Zähne zusammenzubeißen und dir nicht in die Hose zu machen.” Keine mentalen Grenzen - here we go.
Kopfhörer rein, Techno an und alles andere ausgeblendet. So konnte mich niemand verrückt machen. Ich hab mich auf meine Atmung konzentriert und versucht den Regen, der auf mich einprasselte, dankend anzunehmen. Sogar der Gedanke, dass das so nun 4 Stunden geht, hat mich nicht gestört.
Ich hatte auf eine Zeit unter 4 Stunden trainiert- mein Ziel an dem Tag war es dann es locker anzugehen und einfach eine unvergessliche Zeit zu haben.
09:42 Start:
Aufregung, Stolz, Respekt, Vorfreude - Nochmal die letzten motivierenden Worte, Kopfhörer raus, präsent sein und los ging es.
Die ersten 18 Kilometer verliefen ohne Probleme. Ich bin komplett alleine gelaufen, an verschiedenen Stationen überraschten mich immer wieder meine Liebsten und ich wurde unglaublich motiviert. Ich lief und lief und merkte, dass ich mich sogar bremsen musste, um nicht hintenraus doch noch dem “Mann mit dem Hammer” zu begegnen.
Dann meldete sich mein rechtes Bein. Der Hüftbeuger und Oberschenkel streikten ein wenig und ich beobachtete dankbar wie es schnell wieder nachließ.
Puh, alles gut.
Halbmarathon:
Die Hälfte liegt hinter mir.
21,3 km und nun nochmal genau die gleiche Runde durch das verregnete Freiburg. Ich merke kaum wie die Zeit verfliegt…plötzlich bin ich bei Kilometer 26, höre meinen Namen schon von Weitem, lese die Schilder, die liebevoll für mich gebastelt wurden und sehe mich mit Spagatsprüngen und Drehungen an meinen Lieben vorbeitanzen. Voller Endorphine und von Müdigkeit keine Spur. Bis…
Kilometer 30:
…Oh, ab hier wurde es intensiver. Ich spüre meinen Körper nun langsam mehr und die Beine werden müder.
Wo ich zuvor noch in Gedanken für bestimme Menschen und Situationen in meinem Leben gelaufen bin, waren es jetzt nur noch Zahlen.
Noch 12 km, nur noch 11, noch 10,…
Ich merkte, dass ich nun schon eine Zeit lang neben einem älteren Herren lief. Christian (70 Jahre!!) und ich liefen nach einem verständnisvollen Nicken, jedoch ohne ein Wort zu sprechen, bis Kilometer 38 mit einem Tempo von 05:30 Minuten pro Kilometer nebeneinander.
NUR NOCH 4 KM (und 195 Meter):
Jedes Körperteil ist zu spüren. Alles schmerzt. Die Hüfte, die Knie, die linke Schulter, die Füße kribbeln…
Nochmal voller Liebe angefeuert, angebrüllt (da kommen dann die Jugo-Wurzeln durch), motiviert und ich war bereit für den Endspurt. Zustimmendes Nicken von Opa Christian (<3) und ich gebe Gas. Einiges an Gas. Erhöhe auf 05:15 min pro km.
Was ich dachte, weiß ich nicht mehr. Mir schießen immer wieder vor Überwältigung Tränen in die Augen. Ich muss schlucken. Gleich geschafft. “Jetzt, Anja! Reiß dich zusammen, Hör auf zu heulen, das kostet nur noch mehr Energie. Auf jetzt!”.
Kilometer 40:
Wieder wird mein Name geschrieen. Lachen. Wieder Tränen. Wieder der innere Dialog “Danach kannst du weinen so viel du willst.”. Gänsehaut pur.
Zieleinlauf:
Ein letzter Aufstieg (wer zur Hölle denkt sich sowas aus?!) und da sehe ich es. Das Ziel ist vor mir und alle Schmerzen sind plötzlich weg. Nichts kann mich mehr von dem größten Grinsen abhalten, das die ganze Zeit schon auf meinem Gesicht lag. Die Welt um mich herum vergessen, gebe ich nochmal Gas und laufe ins Ziel. 03:58:35 netto Zeit. Ich hab es geschafft. Die magische sub 4!
Ich habe meine Ängste überwunden, alle Zweifel und meine körperliche Grenze. Wann Körper und Geist verschmelzen kann ich nicht definieren. Gefühlt habe ich es.
Vor allem aber hatte ich einfach 4 Stunden den allergrößten Spaß.
Freuden-Tänzchen danach.
Was kommt jetzt?
Hand aufs Herz: als ich ins Ziel eingelaufen kam und alle Emotionen spürte, wusste ich: das war nicht der erste und letzte Marathon, den ich gelaufen bin. Es ist einfach mein erster Marathon – der, den ich sicherlich nie vergessen werde und der, mit dem alles anfing. Was genau? Das wird sich noch mit der Zeit herausstellen.
Ohne wen es vor Ort niemals geklappt hätte: Meine Familie- die besten Menschen - und Hanna, meine langjährige Schülerin, die zufällig in Freiburg war und ihren freien Tag mir gewidmet hat (von Herzen tausend Dank für dein lautes “Mitgebrülle”).
Tausend Dank an alle die für kidsTUMove gespendet haben, an mich gedacht haben, mir geschrieben haben oder in sonst einer Form hinter mir stehen. Last but not least: DANKE an Kili, Kindergartenfreund, Iron-Man und den besten Coach.
Von Herzen
Anja